Der plötzliche Kindstod

Der plötzliche Kindstod

Der plötzliche Kindstod

Liebe Eltern, in diesem Blogartikel geht es um das Thema des „plötzlichen Kindstodes“, bzw. „SIDS- sudden infant death syndrome" und ergänzt den Inhalt unseres Schnuller-Guides. Uns ist bewusst, dass dies ein emotional schwer belastendes Thema ist. Da wir in unserem Schnuller-Leitfaden SIDS erwähnt hatten, dieses Thema aber niemals in einer Kurzübersicht Platz hätte, ist es uns ein Anliegen, darüber mehr zu schreiben. Daher möchten wir in diesem Artikel versuchen, Fakten und Daten darzulegen und keine Ängste zu schüren oder Schuldgefühle zuzuweisen, wie es oft im Internet und vor allem in der Werbung (für Schnuller) gemacht wird.

 

Wie ist der plötzliche Kindstod definiert?

„Der plötzliche Tod eines jeden Säuglings, der aufgrund der Anamnese unerwartet ist und bei dem eine gründliche Obduktion keine adäquate Todesursache erkennen lässt.“ (Bergmann, Beckwith 1971)

1989 erweiterte Beckwith die Definition, indem neben einer Obduktion auch eine genaue Auswertung der Vorgeschichte (= Anamnese) und die Untersuchung des Ereignisortes hinzugefügt wurden.

In Deutschland werden nur weniger als die Hälfte aller plötzlichen und unerwarteten Todesfälle bei Säuglingen obduziert, sodass die Zahlen der tatsächlichen Fälle nicht genau zu bestimmen sind.

Im Jahr 2005 konnten 1-3 Todesfälle durch SIDS pro 1000 lebendgeborenen Kindern festgestellt werden – also ein Prozentsatz von etwa 0,3%. Insgesamt sind die Zahlen seit dem Beginn der 1990er Jahre jedoch stark gesunken, als Präventionsprogramme eingeführt wurden, sodass die offizielle Statistik des statistischen Bundesamtes in 2019 nur noch 14 Todesfälle pro 100.000 lebendgeborenen Kindern ausweist – das ist ein Prozentsatz von nur etwa 0,0137%.

Die Statistik zeigt einen Sterblichkeitsgipfel vom 2. – 4. Lebensmonat, männliche Säuglinge haben eine höhere Sterblichkeit (60%) als weibliche.

2/3 aller SIDS-Fälle ereignen sich während der kalten Jahreszeit.

 

Welche Ursachen sind für SIDS bekannt?

Derzeit wird von einer multifaktoriellen Hypothese ausgegangen. Das bedeutet, es gibt nicht nur die eine Ursache, sondern es müssen mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen, die dann zum Tod des Säuglings führen.

 

Die „Triple-Risk-Hypothese“ geht von 3 Variablen aus:

  1. Vulnerabler Säugling (z.B. ein Kind mit einer Mutation im Serotonin-Transporter-Gen oder mit reifungsbedingter Schwäche in der Stabilität der Schnappatmung)
  2. Kritische Entwicklungsphase des Säuglings (z.B. im Alter vom 2.-4. Lebensmonat)
  3. Exogene Belastungen (z.B. Überwärmung, Rauch in der Umgebungsluft, Bauchlage beim Schlafen, usw.)

Gerade der Punkt „vulnerabler Säugling“ ist vermutlich sehr abstrakt. Störungen im Stoffwechsel des Serotonins spielen eine entscheidende Rolle beim Aufwachen. Ein Kind, das zum Beispiel schlecht Luft bekommt und keine Stoffwechselstörung des Serotonins hat, würde aufwachen und sich selbst so „wiederbeleben“.

Welche Risikofaktoren (= exogene Belastungen) sind bekannt?

Robert Carpenter (2004) und Peter S. Blair (2006) beschreiben zum einen „kaum vermeidbare Risikofaktoren“.

Dazu zählen zum Beispiel das mütterliche Alter unter 18 Jahren, eine niedrige Schulbildung, eine rasche Schwangerschaftsfolge, ein Geburtsgewicht des Säuglings unter 2000g, Frühgeburten, soziale Isolation und das Alter des Säuglings von 3 Monaten.

Diese sind – wie der Name schon sagt – tatsächlich erstmal so nicht zu vermeiden.

Zum anderen werden „vermeidbare Risikofaktoren“ beschrieben: das Rauchen in der Schwangerschaft und in der Umgebung des Säuglings, das Schlafen in Bauchlage oder Seitenlage (aus der der Säugling leicht in die Bauchlage geraten kann), die Überwärmung der Schlafstätte, das Bedecken des Kopfes durch ein Kopfkissen, eine Bettdecke, Kuscheltiere, Bettnestchen, usw., nicht-Stillen/Säuglingsernährung ohne Muttermilch, Schlafen außerhalb des Elternschlafzimmers, usw.

Die „vermeidbaren Risikofaktoren“ lassen sich grundsätzlich gut vermeiden.

Fast alle SIDS-Fälle sind mit den vermeidbaren Risiken verbunden, wie z. B. dass die Kinder nicht gestillt wurden, die Mütter Raucherinnen waren oder Alkohol, Drogen oder Schlafmittel im Spiel waren.

Deshalb sind Präventionsprogramme zum plötzlichen Kindstod darauf ausgelegt.

Für die einzelnen Risikofaktoren wurden in der ECAS-Studie (European Concerted Action on SIDS) 2004 von Robert Carpenter statistische Signifikanzen erhoben.

Diese wurden als „Odds Ratio“ angegeben. Das bedeutet, dass für jeden Risikofaktor ein Chancenverhältnis berechnet wurde, mit dessen Hilfe dann erfahren werden kann, wie stark ein Risikofaktor mit einer bestimmten Erkrankung zusammenhängt.

So wurden dann die Risikofaktoren in Beziehung zueinander gesetzt. Manche erhöhen das Risiko um ein Vielfaches, während andere eine leichte Erhöhung des Risikos darstellen.

Je mehr Risikofaktoren zusammentreffen, umso höher das gesamte Risiko.

Zum Beispiel wurde für das Schlafen in Bauchlage ein 13-fach erhöhtes Risiko (= eine Odds Ratio von 13.1) ermittelt. Für die sekundäre Bauchlage (das bedeutet, dass das Kind in Seitenlage lag und dann in die Bauchlage gerollt ist) wurde ein 45-fach erhöhtes Risiko (= Odds Ratio von 45.4) errechnet.

 

Das Elternbett: Risikofaktor oder Prävention?

2013 erschien eine Studie von Robert Carpenter, die das „Elternbett“ als Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod einstufte.

Aufgrund dessen wurde die Empfehlung herausgegeben, Säuglinge sollten zwar im Elternschlafzimmer schlafen, aber im eigenen Bett.

 Die Begriffe „Co-Sleeping“ und „bed-sharing“ werden im Deutschen allgemein mit „Elternbett“ übersetzt. Das grundsätzliche Problem ist, dass es nicht DAS Elternbett gibt. „Co-sleeping“ meint häufig das gemeinsame Schlafen im gleichen Zimmer, „bed-sharing“ das Schlafen des Säuglings am gleichen Ort mit einem Erwachsenen – das muss nicht zwangsläufig die Mutter sein.

Außerdem ist Bett nicht gleich Bett: Federkernmatratze, Boxspringbett, Wasserbett, ausziehbares Sofa, Sessel, Luftmatratze, usw. werden alle unter „Elternbett“ geführt, wenn die Eltern oder ein Elternteil darin schlafen. Auch so etwas wie die Anzahl von Kissen, Decken und sonstigen Gegenständen können deutlich variieren.

In den meisten Studien wird alles unter einem Begriff geführt, dabei können die Unterschiede (und damit auch der Risikofaktor) enorm sein.

Aus diesen Unterschieden eine Empfehlung abzuleiten, erscheint unter den oben genannten Gründen dann doch eher schwierig.

2014 erschien eine Studie von Peter Blair, der untersuchte, wie gefährlich der Schlaf im Elternbett tatsächlich ist, wenn andere Risikofaktoren wie Rauchen und Alkoholkonsum vermieden wurden. Er untersuchte auch, ob die Kinder gestillt wurden oder nicht.

Er kam zu dem Ergebnis, dass das Elternbett (wenn zudem keine anderen Risikofaktoren vorhanden waren) sogar einen schützenden Effekt hatte, wenn die Kinder über 3 Monate alt waren.

Für die jüngeren Kinder ergab sich ein 1,6fach erhöhtes Risiko, worüber sich statistisch letztendlich keine Aussage treffen lässt.

Blair beschreibt zudem eine weitere Sache: da den Eltern geraten worden war, die Kinder nicht zu sich ins Bett zu holen und dort zu füttern, wären sie mit dem Kind auf das Sofa gegangen, wo sie schlussendlich mit dem Kind eingeschlafen seien und der Tod des Säuglings dort eintrat.

Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster fordert deshalb eine bessere individuelle Beratung für Eltern, anstatt pauschale Aussagen zu treffen.

Außerdem sollten den Eltern die wirklich wissenschaftlich bewiesenen Präventionsmaßnahmen mit auf den Weg gegeben werden, anstatt durch nicht-bewiesene Aussagen Angst und Schuld zu provozieren.

 

Die wissenschaftlich bewiesenen Präventionsmaßnahmen zum plötzlichen Kindstod

  • Stillen (nach WHO-Empfehlungen mindestens 6 Monate voll und nach Bedarf stillen)
  • Das Baby in Rückenlage schlafen legen
  • Feste Matratze nutzen
  • Rauchfreie Umgebung während und nach der Schwangerschaft
  • Vermeidung von Überhitzung (Raumtemperatur ca. 16-18 Grad, keine Kopfbedeckungen)
  • Kopf des Säuglings sollte nicht von Bettzeug bedeckt werden (als Alternative Schlafsack nutzen)
  • Schmale Räume zwischen Bett und Wänden/Möbeln eliminieren (damit das Baby nicht in diese rutscht)
  • Keine Schnullerkette, Schnüre, Bänder an Kleidungsstücken, da Strangulationsgefahr
  • Das Baby sollte nicht gemeinsam mit den Geschwistern schlafen
  • Das Baby sollte nicht alleine auf dem Erwachsenenbett liegen

 

Ist der Schnuller eine Präventionsmaßnahme für SIDS?

In den 90er Jahren berechnete eine Metaanalyse mehrerer Studien eine Odds Ratio von 0.4 mit einem hohen Vertrauensbereich (= Konfidenzintervall) und damit eine Senkung des Risikos durch Gabe des Schnullers um 60%.

2005 erschien eine weitere Metaanalyse von Hauck, der auch die Odds Ratio für den Schnuller berechnete, die 0.69 ergab. Das Konfidenzintervall betrug nun aber einen Wert zwischen 0.79 – 1.03, das als nicht signifikant (also nicht aussagekräftig) gilt.

(das Konfidenzintervall = Vertrauensbereich sagt etwas über die Genauigkeit des errechneten Parameters aus)

Dazu kommt, dass der Begriff „Schnullerverwendung“ schwierig zu definieren ist.

In der Analyse aus 2005 wird die Schnullerverwendung als relativ geringer Faktor der Risikosenkung angegeben, im Gegensatz zu nicht-Rauchen, Schlafen in Rückenlage, usw.

  • Die Task Force on SIDS empfahl 2011 vor allem das Stillen als Präventionsmaßnahme gegen SIDS.
  • Die Gabe eines Schnullers soll in Betracht gezogen werden, obwohl der Mechanismus, WARUM er schützen soll, noch nicht ganz klar ist.
  • Der Schutz des Schnullers hält auch an, wenn er nach dem Einschlafen aus dem Mund des Kindes fällt.
  • Verweigert das Baby den Schnuller, soll er auf keinen Fall aufgezwungen werden.
  • Der Schnuller soll nicht an der Kleidung des Kindes befestigt werden und nicht um den Hals des Kindes gehängt werden.
  • Der Schnuller soll nicht an Gegenständen (Kuscheltier, weiche Spielzeuge) befestigt werden, da die Kinder an diesen ersticken könnten.
  • Gestillte Kinder sollten den Schnuller frühestens nach 3-4 Wochen erhalten, wenn sich das Stillen etabliert hat.
  • Es gibt keine ausreichende Evidenz dazu, dass das Saugen am Finger protektiv (schützend) gegen SIDS ist.

Mathilde Furtenbach schreibt in ihrem Buch, ob es anhand dieser langen Liste der Empfehlungen, die Gefahren und Anwendungsfehler eines Schnullers zu vermeiden, nicht sinnvoller wäre, sein Augenmerk auf das Kind und seine Umgebung zu richten, als dieses auf eine einzelne Maßnahme wie die Gabe eines Schnullers zu richten.

Herbert Renz-Polster macht in seinem Artikel zudem auf die nachteiligen Effekte eines Schnullers aufmerksam.

 

Es ist und bleibt ein sensibles Thema. Die Studien laufen und es gibt immer wieder neue Erkenntnisse. An dieser Stelle möchten wir euch Eltern auch einen Erste-Hilfe-Kurs am Baby und Kind empfehlen - für ein besseres Gefühl für Notfälle. Werdende Eltern, Mütter und Väter, Großeltern, Babysitter und alle, die Kinder lieben, können diese Unsicherheit verlieren. Sie erlernen die Erste Hilfe Maßnahmen am Baby und Kleinkind nach den aktuellen Richtlinien der ERC (European Resuscitation Council).